FIERCE RUN FORCE by Steffi Platt

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ULLI: DEPRESSIVE EPISODEN - DARUM HAT LAUFEN MIR GEHOLFEN

Geschrieben von Ulli Hahn

Kann mich laufen glücklich machen?

Es gibt diese Tage, die grauen Tage, die Tage, an denen wir die Welt niederbrennen wollen und unsere Gefühlswelt uns überwältigt. Ist das typisch Frau?

Ganz so einfach ist es nicht. Laut Dr. Stacey Sims sind wir Frauen aufgrund unserer Sexualhormone und unseres anders strukturierten und vernetzten Gehirns anfälliger für Depressionen und Angstzustände als Männer.

Umso wichtiger ist es, dass wir darüber sprechen und Gleichgesinnte finden. Mit meiner Geschichte möchte ich andere Frauen ermutigen, ihnen zeigen, dass sie damit nicht alleine sind und sie zum Laufen motivieren, weil es mir geholfen hat, mich besser zu fühlen.

Im Laufschritt vor die Tür

Als meine Freundin, Mitbewohnerin und FRF Mitglied Anne mich damals aus dem Bett zog und meinte: „Das wird dir helfen. Glaub mir!“, war ich im Loch einer depressiven Episode gefangen. 

Ehrlich gesagt habe ich sie dafür belächelt und mich nur widerwillig in meine Sportsachen geworfen. Die Schuhe an und wir sind losgelaufen! Siehe da, aus: „Wir laufen auch nicht so weit.“ wurden kurzerhand später sogar sechs Kilometer. 

Danach habe ich bemerkt, dass ich nicht ein einziges Mal an meine Probleme gedacht habe. Die einzigen Gedanken in meinem Kopf waren: Wann sind wir endlich da? Wann hört diese Anstrengung endlich auf? 

Immerhin waren es die ersten sechs Kilometer, die ich je gelaufen bin. Darauf war ich auch mächtig stolz! Da darf frau sich auch mal über die Anstrengung gedanklich beschweren. Letztendlich habe ich mich ja erfolgreich durchgekämpft und auch das Gedankenkarussell in meinem Kopf dadurch einfach lahmgelegt. 

Meine gedankliche Ablehnung gegen das Laufen

Bevor ich Ende 2018 nach Berlin gezogen bin, habe ich in Stralsund gewohnt und studiert. Zu diesem Zeitpunkt spielte Laufen keine Rolle in meinem Leben und es war auch nicht daran zu denken, dass ich jemals eine Passion und Freude fürs Laufen entwickeln könnte.

Warum das so war?

Ich hatte einfach keinerlei Berührungspunkte mit dem Laufen. Meine Einstellung zum Laufen war aus diesem Grund auch einfach, dass es langweilig ist, viel zu monoton, dann auch noch anstrengend, das alles klang keineswegs verlockend. Schon gar nicht konnte es mich dazu bewegen, aus heiterem Himmel damit anzufangen. Ich sah also keinen positiven Anreiz, etwas daran zu ändern.

Natürlich würden jetzt einige sagen, aber die tolle Landschaft in und um Stralsund wäre doch perfekt für deine ersten Laufversuche gewesen.

Aus heutiger Sicht stimmt das auch. Es heißt aber auch nicht, dass Sport gar nicht Teil meines Alltags war. Damals waren es eher Indoor-Workouts. Ich bin zu dieser Zeit gerne alleine ins Fitnessstudio gegangen, nur fehlte mir dabei das Durchhaltevermögen. Nach einer Weile ließ ich es schleifen. Heute habe ich es neben dem Laufen auch wieder in meinen Alltag integriert. Der Unterschied heute ist jedoch, dass ich mich motivieren kann, bereits in der Früh eine kleine Session vor der Arbeit einzulegen. So viel Struktur habe ich mir hart zurück erkämpft.

Gefangen in meinen Gedanken 

Leider schwand mit der Bachelorarbeit und dem Ende des Studiums auch meine Zufriedenheit. Neben meiner Abschlussarbeit habe ich ein sehr zeitintensives Praktikum absolviert. Nach Arbeitstagen mit bis zu 10 Stunden, hieß es für mich abends: weiterschreiben. Das klingt ermüdend – war es auch. Eine Folge war deutliche Gewichtszunahme. 

Plötzlich war alles zu viel. Immer öfter habe ich mich dabei erwischt, wie ich im Bett lag und nicht einmal mehr aufstehen wollte beziehungsweise konnte, um mir etwas zu Essen aus der Küche zu holen. Irgendwann zog sich dieser Zustand über drei Tage hinweg. Dieses Erlebnis bleibt hoffentlich ein Einzelfall. Sehr dankbar war ich in dem Moment für die Hilfe einer guten Freundin. Ein unterstützendes Umfeld ist unglaublich wichtig. Aus meinen persönlichen Erfahrungen heraus empfehle ich Freunden oder Familie, dass sie fragen, wie sie mir bzw. der betroffenen Person helfen können. Im Endeffekt es ist wichtig selbst entscheiden zu können, ob die Kraft in diesem Augenblick da ist, die Hilfe anzunehmen oder ich mir noch Zeit lassen möchte, um den entsprechenden Ratschlag oder auch Termin anzunehmen. Besonders hilft ein offenes Ohr oder eventuell sogar ein Gespräch über mögliche Trigger.

Mit der von meiner Freundin angebotenen Hilfe habe ich einen Termin bei einem ortsansässigen Psychotherapeuten bekommen. So konnte ich den ersten Schritt machen und langfristig lernen, dass es Situationen gibt, die mich triggern und wann ich aus solchen Situationen bewusst rausgehen muss. Wenn es geht, tue ich das heute gerne mit einem Lauf.

Der Besuch bei Psychotherapeut*innen ist gesund

Mir ist es wichtig, darüber zu sprechen oder zu schreiben, dass ich diesen Termin beim Psychotherapeuten wahrgenommen habe und dass es immer noch so negativ behaftet ist. Das ist mir ganz besonders im Wartezimmer aufgefallen. Dort wurde es mir noch einmal bildlich vor Augen geführt. Mit psychischen Erkrankungen wird noch immer nicht überall in Deutschland „normal“ umgegangen. Es ist schambehaftet.

Als ich im Wartezimmer saß, schaute ich mich um und spürte förmlich das Unbehagen der anderen Wartenden. Sie schienen sich förmlich in Luft auflösen zu wollen. Mensch könnte meinen, sie beten, dass sie doch bloß niemanden sehen würden, den sie oder er zufälligerweise kennt. Sie wollten schier im Erdboden versinken. 

In diesem Moment wusste ich, dass ich es diesen Menschen nicht gleichtun möchte. Ich schäme mich nicht für meine depressiven Episoden – damals nicht und heute noch viel weniger. Sie sind Teil meines Lebens. Ich weiß damit umzugehen und bin froh, dass ich durch sie das Laufen für mich entdeckt habe. Bei FRF kann ich nicht nur laufen, sondern auch meine Geschichte teilen und darüber aufklären und hoffentlich mehr Menschen die Angst nehmen, offen mit ihrer Erkrankung und Therapie umzugehen. 

Das Laufen war mein Wundermittel

Meine Laufanfänge sind inzwischen fast vier Jahre her und natürlich hat mich nicht nur das Laufen allein aus der depressiven Phase geholt. Es war nur der erste Schritt, denn natürlich war zusätzlich ein lang ersehnter Therapieplatz und viel Aufarbeitung essenzieller Bestandteil meiner positiven Entwicklung. Dennoch hat der Sport einen großen Anteil daran, dass es mir heute besser geht.

Warum kann Sport und gerade Laufen so wirksam sein?

Das habe ich mich rückblickend auch gefragt. Recherchiert mensch die Wirkung des Laufsports auf die mentale Gesundheit, kommt man schnell auf eine immense Anzahl von Artikeln, die folgendes erklären: Laufen fördert den Stressabbau, steigert das Selbstwertgefühl und verbessert den Schlaf. Faktoren, die nicht nur die allgemeine mentale Gesundheit fördern, sondern auch gerade für uns Frauen essenziell sind. Vor allem in Hinblick auf unseren Menstruationszyklus und unsere weibliche Physiologie ist es wichtig, diese Stressoren abzubauen. Das wiederum hilft uns, PMS Symptome zu lindern und am Ende auch erfolgreicher trainieren zu können. 

Wer wie ich unter depressiven Episoden leidet, kann durch regelmäßiges Laufen den Hormonhaushalt des Körpers nachhaltig so verändern, dass mehr Botenstoffe wie Serotonin und Dopamin angenommen werden können oder gar deren Abbau verzögern. Ähnlich wirken auch Medikamente, die bei Depressionen verordnet werden.

Warum erkranken Frauen häufiger an psychischen Erkrankungen wie Depressionen?

Das liegt an unserer weiblichen Physiologie, unser Gehirn produziert nur halb so viel Serotonin wie das von Männern. Ein Botenstoff, dessen Mangel Depressionen verursachen kann. Umso wichtiger zu wissen, dass wir dies durchs Laufen positiv beeinflussen können. Die Strukturen und Vernetzungen unserer Gehirne unterscheiden sich von denen der Männer. Bei uns Frauen ist das limbische System – die Region, welche sowohl positive als auch negative Emotionen steuert – deutlich ausgeprägter. Dadurch sind wir emphatischer und können umfassender Denken. Vielleicht zerdenken wir gerade deshalb manchmal Dinge.

Zudem haben unsere Sexualhormone Östrogen und Progesteron einen sehr großen Einfluss auf unsere Stimmung und Gemütslage. Sie lösen prämenstruell nicht nur Stimmungsschwankungen aus, auch als Symptome von PMS bekannt, sie können auch in Depressionen und tiefster Traurigkeit münden. Dann sprechen wir von PMDS. Das Prämenstruelle Dysphorische Syndrom (PMDS) wird selten richtig diagnostiziert und zählt dennoch zu den psychiatrischen Erkrankungen, da es bei starker Ausprägung zur Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit und sozialen Isolation führen kann. Auch hier kann laufen sehr hilfreich sein vor allem in einer Gruppe. Frauen sind Beziehungsmenschen und diese Verbindungen lassen sie gerne in Gruppen trainieren. Weshalb es mir wahrscheinlich auch leichter gefallen ist mit Anne das Laufen zu starten und nicht alleine.

Von der blutigen Anfängerin zur Wettkampfläuferin 

Vom ersten Tag an hat mich nicht nur die Laufbegeisterung von Anne in den Bann gezogen, sie hat mich damit regelrecht angesteckt. 

Ab dem Zeitpunkt sind wir regelmäßig gemeinsam Laufen gegangen. Das war nur der Anfang, denn irgendwann habe ich mich dann auch alleine auf den Weg gemacht und meine Runden gedreht. Bei so viel Training und fleißig gesammelten Kilometern rief der nächste Schritt auf der „Erfolgsleiter“: Ich meldete mich für meinen ersten großen und offiziellen Lauf an. Anne und ich liefen beim Avon Frauenlauf 2019 mit. Die fünf Kilometer vergingen wie im Flug und ich lief damals sogar meine Bestzeit. 

Seitdem habe ich mich immer wieder für offizielle Läufe angemeldet, und laufe inzwischen regelmäßig, wenn mich nicht gerade eine Verletzung ausbremst. Ja, auch das gehört inzwischen zu meinem Läuferinnen-Dasein, so wie gesteigerte Umfänge. Aus dem vermehrten Training wuchs auch meine mentale Stärke. Ich kann beim Laufen einfach meinen Kopf frei machen und meine Stimmung hinter mir lassen.

Ein weiterer entscheidender Schritt war in diesem Jahr mein Beitritt in FRF und seit August 2022 bin ich sogar stellvertretende Vorstandsvorsitzende des ersten Frauenlaufvereins mit zyklusorientiertem Training FIERCE RUN FORCE e.V.. So kann ich nicht nur im Ehrenamt, mit dem ich Steffi beim Aufbau einer Gemeinschaft an Frauen unterstütze, sondern auch mehr Frauen die Möglichkeit schenken durch Erfahrungsaustausch und gemeinsames Training, zu lernen, wie sie ihren Körper und Geist im Einklang mit dem Zyklus gesund trainieren.

Deshalb kann ich jeder und jedem nur den Rat geben: Bitte passt auf euch auf, hört in euch hinein. Manchmal ist es mit einem „Ach lach doch mal. So schlimm kann es nicht sein.“ nicht getan. Geht den Schritt und holt euch Hilfe, öffnet euch z.B. einer Freundin oder lasst eure schlechten Gefühle bei einem guten Lauf raus.