FIERCE RUN FORCE by Steffi Platt

View Original

IWD PROTEST RUN: GIRLS JUST WANNA (HAVE A GOOD) RUN

DER LAUF DURCH DIE NACHT VOR DEM FEMINISTISCHEN KAMPFTAG

Es ist dunkel und kalt. Die Straßenlaternen schimmern und beleuchten den schmalen Weg im Park. Vereinzelt radeln Fahrradfahrer*innen vorbei, ein Spaziergänger spricht leise mit seinem Handy. Viel ist nicht mehr los an diesem Dienstagabend Anfang März im Berliner Tiergarten.

Diese Situation kann Jogger*innen Angst machen: Angst vor Übergriffen und Angst davor, dass niemand eingreift. Diese Angst kennen wir zu gut! Doch an diesem Abend durchbricht ein Geräusch die düstere Stille, das – zumindest für den Moment – die Angst nehmen kann: Ein Traben, ausgelöst durch mehrere hundert Laufschuhe. Heute Abend muss niemand alleine durch den Park joggen, im Gegenteil.

Am 7. März sind wir gemeinsam für LGBTQIA+ & Women’s Rights auf die Straße gegangen. Wir wollten gemeinsam laufend und begleitet von Erzählungen großartiger Speakers deutlich machen, dass CHANCENGERECHTIGKEIT noch nicht Alltag ist – schon gar nicht im Sport!
Mit dem Lauf wollten Kathi Hoffmann (Gründerin von “THE GOOD RUN”) und Steffi Platt (unsere Gründerin) zusammen mit queeren und FINTA Speakers für die  globale Ungerechtigkeit sensibilisieren, die ihnen und ihrer ukrainische, iranische, türkische, afghanische, BIPoC und LGBTQIA+ Community im (Lauf)Sport widerfährt. 


Wir bedanken uns vorab für die tatkräftige Unterstützung von Oumou Aidara und 14 weiteren FINTA aus der Laufcommunity: Vinda, Suna, Amali, Cheryl, Danielle, Saba Iman, Sarah, Elke und alle fleißigen Ordner*innen für die Unterstützung, die wertvollen Reden und eure Zeit.

Der 7. März: Laufen mit Polizeibegleitung

Es ist soweit: 18.30 Uhr – Treffen. Nahe des Berliner Hauptbahnhofs versammeln sich alle Demo-Runners. Es werden rund 230 Laufende erwartet. Der Lautsprecher und die Polizei stehen bereit. Wegweiser sind gemalt. Peu à peu strömen die Menschen herbei. Es ist kalt.  Es wird wuselig. Bemalte Schilder & Plakate hier und da. Manche politische Botschaft ziert die ein oder andere Laufklamotte – wie es sich für eine Demo gehört. Die Speakers werden zusammengetrommelt. Kathi leitet die Eröffnungsansprache ein. Ein Demo-Run hat Spielregeln, die erklärt werden müssen. Das gilt auch für die Botschaft des Laufs: “WOMEN. EQUITY. SPORTS.” Ein friedlichen und respektvollen Demo-Lauf durch die eisige Nacht.

Was steckt hinter den drei Wörtern in Großbuchstaben? Steffi fasste zusammen: „Frauen, Kinder und marginalisierte Gruppen erfahren auf allen Ebenen des Profi- und Amateursports Diskriminierung und Sexismus“. Das äußert sich etwa in einem erschwerten Zugang zum Sport, geringeren finanziellen Mitteln, Rassismus, körperlichem Missbrauch durch Trainer*innen und Betreuer*innen und Angst beim Laufen im Dunkeln. „Deshalb gehen wir gemeinsam auf die Straße und sprechen über diese Erfahrungen.“ mit diesen Worten übergibt sie das Wort an Vinda und Suna, bevor sich die Menge in Bewegung setzt.

Krieg und Umweltkatastrophen – was bleibt? – Davonlaufen!?

Bevor sich hunderte Menschen in Bewegung setzen, ergreift an diesem Abend Vinda das Wort, um ihre Organisation “Frauen in Aktion” vorzustellen. Eine Initiative, die sie gegründet hat, um Frauen mit Fluchterfahrungen den Zugang zum Sport zu ermöglichen. Wo doch FINTA und marginalisierte Gruppen grundsätzlich der Zugang fehlt. Obwohl der Sport FINTA und queeren Menschen doch so viel geben kann: mehr Selbstbewusstsein, soziale Kontakte, Austausch, gegenseitige Unterstützung und Bewegung, die sowohl die mentale als auch die physische Gesundheit fördert. Das gemeinsame Sporttreiben verleiht jeder einzelnen neue Kraft und Energie für den Alltag, aber auch für den Neuanfang in einem fremden Land. All diese positiven Effekte wissen wir selber zu schätzen und sind dankbar dafür, dass es Projekte wie “Frauen in Aktion” und Frauen wie Vinda gibt, die das möglich machen.

Vinda ist nicht nur die Projektleiterin von “Frauen in Aktion”, sie ist auch Syrerin und teilt die aktuelle Betroffenheit und den Schmerz, den das Erdbeben in Syrien und der Türkei ausgelöst hat, mit Suna. Suna ist Co-Founderin von “No Reason Co.”, einer türkischen Running Crew und lebt derzeit in Berlin. Bevor sie alle um eine Schweigeminute für die Opfer des Erdbebens bat, erinnerte sie daran, dass Frauen und Kinder in der betroffenen Region noch einmal mehr unter der Situation leiden, denn es fehlt ihnen an alltäglichen Dingen wie zum Beispiel Hygieneartikel. Deshalb ruft sie uns alle auf, zu spenden: https://ahbap.org/disasters-turkey. Mit dem abschließenden Lied “Neredesin Sen” der Sängerin Karsu, die ihre Familie in den Trümmern des Erdbebens verloren hat, setzt sich die Menge in Bewegung. 

Vorbei am Berliner Hauptbahnhof, ergreift Cheryl das Wort und erinnert  daran, dass fast genau vor einem Jahr der fürchterliche Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist. Als Sportlerin betont sie aber auch, wie tapfer die Menschen und vor allem die Athletinnen des Landes sind.

Kai Heuser

Misogynoir im Laufsport – leider kein Einzelfall

Die Läufer*innen erreichen das Brandenburger Tor, die Menge kommt zum stehen. Die Läuferin und ehemalige Leistungssportlerin Amali des “DNA Run Club” teilte ihre persönlichen Erfahrungen als Schwarze Frau im Leistungssport. Jede Frau, ob trans oder cis, habe mit Frauenfeindlichkeit im Laufsport zu kämpfen. „Das ist gefährlich und nicht gut. Wir werden immer übermäßig sexualisiert. Aber ich möchte speziell über 'misogynoir' sprechen“, sagte sie. Sie habe sich aus dem Wettkampfsport zurückgezogen, weil sie in einigen Teams immer die 'diversity card' gewesen sei. „Du bist die Schwarze Frau und du bist auf der Coverseite, weil du Schwarz bist. Nicht, weil ich etwas erreicht habe und ich schnell war.“ Sie berichtete darüber, wie die eigene harte Arbeit minimalisiert werde. „Was auch gesagt wird: Dass du Schwarz bist und du deswegen so schnell bist. Aber ich habe hart dafür trainiert.“

Ksenia Lapina

Wie exklusiv ist der Laufsport?


Wir alle leben mehrheitlich nach dem heteronormativen Standard – vor allem im Sport. Es gibt demnach zwei Geschlechter, cis- Mann und cis- Frau und beide sind weiß. So schafft der Sport Ausgrenzung und rassistische Strukturen. Das erfährt Oumou als non–binäre Schwarze laufende Person immer wieder. Oumou ist nicht nur im gleichen Laufverein wie Amali, sondern macht leider auch ähnliche Erfahrungen im Sport und der Running Community. Oumou sagt: “Als schwarze, nicht-binäre Person, deren Identität im Sport und in Mainstream-Gesprächen über Geschlecht und Rasse oft ausgelöscht oder abgetan wird, schließe ich mich euch allen im Geiste an, um zu laufen und eine bessere Repräsentation und Anerkennung Schwarzer, indigener und People of Color im Leben und im Sport zu fordern, eine bessere Anerkennung und Repräsentation von Femme, Lesbian, Intersex, Non-binary, Transgender und Agender im Leben und im Sport, eine bessere Anerkennung für Behinderte, Religiöse und Menschen mit Migrationshintergrund - in der Welt, aber auch ganz besonders in der Welt des Sports.” Leider konnte Oumou nicht persönlich ihre Rede vortragen. Deshalb sind wir sehr dankbar, dass Danielle als best friend einsprang und extra aus Magdeburg anreiste.
Lasst uns alle überlegen, wie wir Ausgrenzung im Sport und der Running Community abschaffen. Denn Sport steht für Fairplay und Teamgeist. Das bedeutet aber auch Inklusion, nicht Exklusion und Exklusivität. Wir danken Oumou für die unglaublich eindringlichen und starken Worte.

Laufen allein im Dunkeln – schön wärs

Der nächste Abschnitt des Laufes führt durch den Tiergarten. Stop! Alle versammeln sich erneut. Nun sollten die Demonstrierenden spüren, was es bedeutet, im Dunkeln alleine zu joggen. Ein mulmiges Gefühl, das viele kennen: „Ich wohne auch direkt neben einem Park und wenn ich abends laufen gehe, dann bevorzuge ich tatsächlich eher die beleuchteten Straßen. Auch wenn Parks natürlich schöner sind“, sagte Demo-Teilnehmerin Helena von 261 fearless. Ähnlich sah es auch Läuferin Anna. In einer großen Gruppe durch den Tiergarten zu joggen, beschreibt sie hingegen als „meditativ“.

Den Standort teilen, zur Sicherheit den Schlüssel in die Hand nehmen: Mitorganisatorin Kathi Hoffmann berichtet, wie sie sich vorbereitet, wenn sie alleine läuft. Es passiere immer wieder, dass ihr Körper angestarrt, kommentiert und manchmal auch ungewollt angefasst werde. „Viele hier, insbesondere queere Frauen sowie inter, nicht-binäre und trans Menschen, insbesondere wenn sie nicht weiß sind, kennen diese Maßnahmen: Sich schützen, sich nicht zu freizügig anziehen, wachsam sein, lernen, sich selbst zu verteidigen“, sagte die Läuferin und Mutter zweiter Töchter. Das alleine reiche aber nicht, sondern behandle lediglich die Symptome eines Systems. „Was wir wirklich brauchen, ist Solidarität, Aufklärung und Zivilcourage von nicht-betroffenen Personen, die ihre Privilegien checken und vor allem den Kampf nicht denjenigen überlassen, die am meisten betroffen sind,“ so Kathi. Frauen und marginalisierte Gruppen sollen sicher laufen können und das schaffen wir nur gemeinsam! „Lasst uns heute gemeinsam ein Zeichen setzen und morgen damit weitermachen.“

Genieß deine Freiheit beim Laufen, weil sie kostbar ist

Mit dem Protest solidarisieren sich die Anwesenden auch mit den Frauen im Iran. „Frau, Leben, Freiheit,“ riefen die Demonstrierenden gemeinsam mit Saba Shakalio vor der Siegessäule am großen Stern. Die Sportwissenschaftlerin ist aus dem Iran nach Deutschland ausgewandert. „Als junges Mädchen lernte ich schnell, warum ich, um eine starke, unabhängige Frau zu werden, auch einen starken Körper brauche. Ich habe mich sehr früh für Sport interessiert und habe in einem Land Sportwissenschaften studiert, wo man als Frau nicht einmal in der Öffentlichkeit Rad fahren durfte und immer noch nicht darf.“ Im Iran werden Frauen als Geiseln gehalten, ihre Körper instrumentalisiert und tabuisiert.
„Frauen sollen nicht hart trainieren, das haben sie uns gesagt. Frauen sollen nicht Gewichte heben, das haben sie zu uns gesagt. Frauen sollen sich schonen, Frauen sollen geschützt werden, das haben sie zu uns gesagt.“ Doch ihre Körper seien mächtiger als die Militärmacht. „Lasst uns den Schrei nach Freiheit der Iranerinnen in die Welt tragen. Die Frauen im Iran müssen und werden gewinnen.“ Denn Saba wünscht sich für die Zukunft, dass wir gemeinsam in Teheran am feministischen Kampftag feiern dürfen und mit ihr auf der Straße tanzen können. Dafür kämpft sie. Das hat sie uns gezeigt in einer Rede, die einige zu Tränen gerührt hat, die den Zuhörenden die Kraft gegeben hat, inbrünstig diese Freihat der Frauen im Iran und für alle FINTA und queeren Menschen auf der Welt einzufordern. Einige Teilnehmer*innen hatten Gänsehaut, denn ihre Worte beschreiben die Realität der Frauen im Iran, machen aber auch klar, dass wir im Vergleich zu den Frauen im Iran, in Syrien, in der Türkei, in der Ukraine und in Afghanistan an diesem Tag frei über die Straße laufen können.

Auch die Frauen in Afghanistan dürfen wir nicht vergessen. Daran erinnert Iman, sie ist jahrelanges Mitglied des Afghanischen Frauenvereins und Teil von FIERCE RUN FORCE.  “Es wäre sehr schön, wenn wir auch den Spirit der Frauen in Afghanistan mit uns tragen auf diesem Lauf und sie in unseren Köpfen behalten.” Der “Afghanische Frauenverein” leitet seit Jahren vor Ort Hilfe und gerade jetzt, durch die tödliche Kälte des Winters, brauchen besonders Frauen und Kinder, die bereits verstärkt unter der Machtübernahme der Taliban leiden, Unterstützung. Iman erinnert deshalb daran, dass: unsere Unterstützung und Spenden einen Unterschied machen. Denn so kann der Verein Hilfsgüter vor Ort zur Verfügung stellen. Wir dürfen die Frauen in Afghanistan nicht vergessen. Unsere Solidarität, Aufklärung und Zivilcourage sind nicht nur am 8. März gefragt!

Solidarität, Aufklärung und Zivilcourage

Die Demonstrierenden liefen vorbei am Brandenburger Tor und der Siegessäule, sangen „Respect“ von Aretha Franklin und hörten bei Zwischenstopps den acht Redner*innen zu, die auf verschiedene Formen der Diskriminierung aufmerksam machten. Wie wichtig diese Erfahrungsberichte sein können, weiß Demo-Teilnehmerin Laura: „Es ist immer noch erstaunlich, dass viele Leute sagen: Wir haben doch diese Themen gar nicht mehr.“ Nach rund zwei Stunden und vielen Solidaritätsaufrufen endete der Protestlauf. Wir haben noch einen langen Kampf vor uns, aber einen wichtigen Schritt geschafft und hoffentlich viele neue Allies gewonnen. Für Demo-Teilnehmerin Lilly stand fest: „Ich war heute hier, damit wir uns die Straßen zurückerobern.“ Auch Iman ist dankbar für den Lauf: “ich finde es toll, dass der heutige Protestlauf einen Raum für intersektionalen Feminismus bietet.”

Gemeinsam protestierten wir gegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung im Sport, im Laufschritt durch die Straßen von Berlin-Mitte. Es ist nicht das erste Mal, dass wir für all diese wichtigen Themen laufend auf die Straße gegangen sind und es war ganz bestimmt nicht das letzte Mal.

Kai Heuser