TANJA SPILL: WENN DER KOPF DEM OLYMPISCHEN TRAUM IN DIE QUERE KOMMT

 
Deutsche Meisterschaften 2017

Deutsche Meisterschaften 2017

 

Geschrieben von Tanja Spill

Wo kommt der Traum von den Olympischen Spielen eigentlich her?

An welchem Punkt hält man diesen Traum für realistisch? Ist es wirklich möglich, sich 4 Jahre lang auf den einen großen Traum vorzubereiten? Und gelingt es mir, diesen Traum zu verwirklichen, obwohl ich keine Zwischenziele erreicht habe?

Viele Fragen, die ich mir in den letzten Jahren immer wieder gestellt habe.

Tanja Spill (LAV Bayer Dormagen), leidenschaftliche 800m-Läuferin mit einer Bestzeit von 2:01.63 min.

Seit 2001 habe ich meine Leidenschaft in der Leichtathletik gefunden und wechselte 2008 zu meinem jetzigen Trainer im Mittelstreckenbereich. Zunächst blieb der Blickwinkel einige Zeit auf nationaler Ebene, dort wollte ich mich in der Spitze etablieren. Dies gelang mir auch ganz gut, die ein oder andere Medaille bei deutschen Meisterschaften konnte ich bereits mit nach Hause bringen. Doch als Leistungssportlerin wächst der Gedanke sehr schnell erfolgreicher zu werden und auch international die eigene Nation zu vertreten. So wollte auch ich es schaffen bei Europameisterschaften, Weltmeisterschaften oder gar Olympischen Spielen an den Start zu gehen.

Aber wie realistisch ist ein solcher Traum? Nach 2016 war ich sicher, dass es möglich ist. In meinem ersten Jahr in der Damen-Hauptklasse gewann ich bei den Deutschen Hallenmeisterschaften mit einer neuen Bestzeit von 2:05.59 min die Bronzemedaille. Es folgte Bronze bei den Deutschen Outdoor-Meisterschaften, wiederum mit einer persönlichen Bestzeit von 2:03.63 min. Und dann kam das Rennen, auf das mein Trainer und ich gewartet hatten, alles passte perfekt zusammen. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen auf der Zielgeraden mit Konstanze Klosterhalfen, das sie knapp gewann, die Uhr blieb für mich bei 2:01.63 min stehen. Wieder persönliche Bestzeit! Die Freude war zunächst unbeschreiblich groß, aber der Wehmutstropfen ließ nicht lange auf sich warten, denn für die Olympia-Norm, für die der Nominierungsschluss bereits zwei Tage später lag, fehlten nur 13 Hundertstelsekunden.

Tanja Spill (rechts) & Konstanze Klosterhalfen (links)📸 von imagoimages

Tanja Spill (rechts) & Konstanze Klosterhalfen (links)

📸 von imagoimages

Im Leistungssport liegen Freude und Leid oft sehr nah beieinander. Die persönliche Leistung kann noch so gut sein, wenn die vorgegebene Norm nicht erfüllt ist, wird es keine Nominierung geben und damit auch keinen Internationalen Start. Diese Vorgaben sind knall hart und können manchmal noch so frustrierend sein, wenn ständig ein kleiner Wimpernschlag fehlt. Aber so ist mein Olympia-Traum entstanden und hat an Realität gewonnen. Von diesem Zeitpunkt an hatte ich vier Jahre Zeit um zu wachsen, vier Jahre um hart an mir zu arbeiten, vier Jahre um noch schneller und konkurrenzfähiger zu werden und vier Jahre um jeden Tag für meinen großen Traum von den Olympischen Spielen zu kämpfen. In dieser Zeit hätte ich die Möglichkeit gehabt an einer U23-Europameisterschaft, zwei Europameisterschaften und zwei Weltmeisterschaften teilzunehmen um meinem großen Ziel vielleicht ein Stück näher zu kommen. Doch heute stehe ich hier, habe die Olympischen Spiele immer noch fest im Blick, aber keines der Zwischenziele erreicht.

Wo ist die Zeit geblieben? Was ist in den vier Jahren passiert, in denen ich mich eigentlich entwickeln wollte? Wollte ich zu schnell zu viel? Oder sind meine Ziele zu ehrgeizig?

Trainingslager in Monte Gordo (Portugal) with the DLV (Deutscher Leichtathletik Verband)

Trainingslager in Monte Gordo (Portugal) with the DLV (Deutscher Leichtathletik Verband)

Im Januar 2017 bin ich mit dem DLV (Deutscher Leichtathletik-Verband) ins Trainingslager nach Monte Gordo (Portugal) gefahren. Dort trainierte ich gemeinsam mit Spitzensportlern, lernte neue Trainingsreize und -inhalte kennen, absolvierte deutlich mehr Schnelligkeitseinheiten und Sprints sowie ungewohnte Athletik- und Krafttrainings. Bei jeder Trainingseinheit wollte ich mein Bestes geben und nie Schwäche zeigen. Zudem wollte ich meine gewohnten Kilometer - 140-150 km pro Woche im Trainingslager - beibehalten. Eine Kombination, die im Nachhinein nie hätte gut gehen können. Aber ich zog es durch ohne Rücksicht auf Verluste. In meinem Kopf gab es nur ein Ziel, nämlich besser zu werden! Die Folge war ein Knorpelschaden in meinem Knie, der mich zu einer Pause zwang und mich somit auch die Hallensaison kostete.

Trainingslager in Flagstaff (Arizona)

Im März 2017 fuhr ich für vier Wochen in ein weiteres Trainingslager und somit mein erstes Höhentrainingslager in Flagstaff (Arizona). Kurz davor machte ich die ersten Schritte nach meiner Verletzung im Januar. Mit neuem Mut und mehr Sinn und Verstand sollte der Weg zurück zur alten Stärke führen, denn schließlich stand im Sommer die U23-Europameisterschaft an, bei der ich unbedingt dabei sein wollte. Das geforderte Niveau von 2:03.50 min lag deutlich über meiner Bestzeit und war somit ein realistisches Ziel. Das Training in der Höhe verlief gut und ich war guter Dinge auf dem richtigen Weg zu sein. Zurück in der Heimat, musste ich feststellen, dass sich das Laufen anders als normal anfühlte. Ich schleppte mich von Einheit zu Einheit, war permanent müde und träge. Aber warum? Habe ich die Höhe nicht vertragen? Es dauerte fast 6 Wochen, bis ich wieder Gas geben konnte, eine Zeit, die man als Leistungssportler nicht hat. Somit stand für mich am Nominierungstag eine 2:07.52 min zu buche, welche weit von der geforderten Norm entfernt war.

Die ersten Zweifel kamen auf: Kann ich meine Ziele überhaupt erreichen? Kann ich zu meiner Bestzeit zurückkehren? Oder war das Rennen 2016 einfach das perfekte Rennen, was ich nie mehr erreichen werde?

Nach einem sehr guten Aufbau im Winter sollte 2018 alles anders werden. Mit neu gewonnener Erfahrung und einem Pfund Selbstvertrauen stand die Heim-Europameisterschaft im Mittelpunkt. Erforderlich war hierfür eine Zeit von 2:01.50 min. Basierend auf den Trainingswerten und der Zuversicht meines Trainers sollte dies machbar sein. Eine holprige Hallensaison hatte ich bereits hinter mir, aber so richtig beweisen konnte ich noch nicht was in mir steckte.

Dafür wollte ich es dann im Sommer zeigen und zwar so richtig! War zumindest der Plan. Noch nie bin ich schneller in die Wettkampfsaison gestartet als in diesem Jahr, und das im Alleingang mit 2:04.87 min. Ideal! Das Selbstvertrauen wuchs. Nächstes Rennen. Nach 300m wurde mir die Pacerin zu langsam, also überholte ich und war bis 600m sogar auf Kurs von unter 2:00 min, im Ziel waren es dann leider nur 2:05.12 min. Das Starttempo war wohl etwas zu hoch. Nicht schlimm, daraus habe ich gelernt und weiter geht’s. Am nächsten Tag ein erneuter Versuch. Vom ersten Meter an lief ich hinter dem Rest des Feldes her, das Ergebnis 2:09.78 min. Okay, vielleicht war ich ein bisschen müde vom Vortag. Wie auch immer, es ist noch genug Zeit. Also dachte ich mir: einfach weiter machen. Die nächste Chance war ein internationales Rennen, es lief deutlich besser. Ich konnte zum Ende noch ein mal schneller werden, perfekt! 2:02.26 min, mega, so schnell bin ich in den letzten 2 Jahren nicht mehr gewesen. Aber leider auch immer noch 76 Hundertstelsekunden zu langsam für die Erfüllung der EM-Norm. Ich war mir über meine noch vorhandenen Reserven bewusst und auch, dass im nächsten Rennen die Zeit ganz sicher fallen würde. Das nächste Rennen ließ nicht lange auf sich warten und da stand ich wieder an der Startlinie.

Aber was war da los? Ich fühlte mich leer, meine Beine wollten nicht laufen oder war es der Kopf, der nicht wollte? Ich kam im Ziel an (2:05.26 min) und war keineswegs erschöpft, ich hätte sofort wieder laufen können. Aber warum? Wo war der Wille, während des Rennens zu kämpfen?

Schnellstes Saisonrennen mit 2:02.26min in Dessau 2018

Schnellstes Saisonrennen mit 2:02.26min in Dessau 2018

Wir beschlossen, den Fokus wieder auf das Training zu legen, vielleicht waren es einfach zu viele Rennen zu kurzer Zeit. Der Plan war, etwas Abstand zu gewinnen und dann mit neuer Energie das Ticket für Berlin zu lösen. Zunächst absolvierte ich zwei Unterdistanzrennen (200m & 400m), beide konnte ich mit einer neuen Bestzeit krönen. Also, mit neuem Mut, ging es ab nach Belgien um endlich die Norm zu erfüllen. Ich fühlte mich großartig und war endlich bereit, zu zeigen, wofür ich trainiert habe. Aber schon nach 200m hatte ich den Anschluss an das Feld verloren, ich bekam keine Luft mehr, wurde immer langsamer und stolperte erst nach 2:09.60 min ins Ziel, hyperventilierte und wurde von Sanitätern von der Bahn getragen.

Aber was war der Grund? Was war plötzlich mit meinem Körper los? Im Training lief alles so gut wie nie zuvor, aber was war im Wettkampf los? Ein Ärzte-Marathon folgte, leider ohne Ergebnis. Vielleicht sollte ich es noch einmal wagen? Nein!! Das kommt nicht in Frage, viel zu peinlich. Was würden die anderen denken, wenn ich wieder versage?

6EA73F1A-8572-47AA-B117-2FB1BEE7A721.JPG

Mein Team, um mich herum, hat zu diesem Zeitpunkt einen tollen Job gemacht und mich ermutigt, trotzdem an den Deutschen Meisterschaften teilzunehmen und es einfach zu genießen. Ich sollte mich einfach auf den Wettkampf konzentrieren ohne auf die Zeiten zu achten. Sie konnten mich überzeugen, aber ich musste mir auch eingestehen, dass ich noch nie so viel Angst vor einem Vorlauf hatte, aber es funktionierte endlich wieder. Mit einer Zeit von 2:03.96 min qualifizierte ich mich für das Finale am nächsten Tag. Der Gedanke, die EM-Norm zu erfüllen, kam wieder auf und war in meinem Kopf. Sollte ich es noch einmal versuchen? Es lief doch endlich wieder, oder?

Es war der letzte Tag, an dem man hätte die Norm noch laufen können. Der Startschuss fiel, ich sortierte mich auf Position drei ein, der Plan war, einfach mitzulaufen. Nach 250m, der erste Rempler, unzählige Gedanken schoßen mir durch den Kopf: "Ist das Tempo nicht zu hoch für mich? Kann ich es überhaupt noch halten?" Eine Lücke entstand. Ich führte die Verfolgergruppe an, lag aber immer noch auf dem dritten Platz. Nach 400 m wurden die Beine immer schwerer, die ersten Konkurrentinnnen zogen vorbei. Und plötzlich gab es wieder diese Luftprobleme, völlig aus heiterem Himmel. Meine Geschwindigkeit verringerte sich immer mehr, bis ich mit Abstand als Letzte und nur noch taumelnd in Ziel über Zielinie fiel. Wieder kurz vorm Hyperventilieren. Völlig am Ende und von Tränen überströmt. Erneut blamiert und Ziel verfehlt!

Und nun? Sollte ich besser aufgeben und meine Gesundheit schützen? Kann ich mich jemals wieder so quälen, um erfolgreich zu laufen? Ist der Sport es wert, sich in solche Situationen zu begeben? Woher kommen die Luftprobleme? Ist der Druck zu groß geworden? Wenn ja, woher kommt der Druck? Stehe ich mir selbst im Weg?

Deutsche Meisterschaften 2018

Deutsche Meisterschaften 2018

Ich habe so viele Menschen enttäuscht, die immer mit gefiebert haben, die mit mir von A nach B gereist sind, um mich zu unterstützen, und die einfach alles für mich getan haben, um mein Ziel zu verwirklichen. In mir ist Leere und Hilflosigkeit.

Selbst Tage später waren die Gedanken noch da. Ich wollte und konnte so nicht weitermachen. Vielleicht sollte ich meine Schuhe an den Nagel hängen und aufhören? Das einzig Erstaunliche war, dass es das Laufen war, das meinen Kopf entleerte und mir half, abzuschalten. Nach einigen tiefgründigen Gespräche mit meinem engsten Umfeld, beschloss ich professionelle Hilfe eines Sportpsychologen in Anspruch zu nehmen. Die positive Einstellung meines Trainers half mir sehr, es noch einmal zu versuchen und meine Saison mit einem kleinen Erfolgserlebnis zu beenden - dem Sieg über den kleinen Teufel in meinem Kopf, der mich daran hinderte, an meine Fähigkeiten zu glauben.

Also ging es weiter!

Für 2019 schraubten wir zunächst die Ziele herunter. Statt einer ständigen Jagd nach Normen und Bestzeiten sollte der Schwerpunkt auf einer konstanten Leistung, gesteigertem Selbstvertrauen und dem Weg zurück zur Liebe zum Wettkampf gelingen. Das war der Plan! Die Realität sah wieder einmal anders aus. Ein Trainingsunfall (Anfang November 2018). Kollision mit zwei Kindern, die während meines Tempolauf die Bahn überquerten. Ich stürzte, riss mir ein Außen- und Innenband im Fuß und erlitt ein Knochenödem im Knöchel. Eine 6- bis 8-wöchige Laufpause, kein Grund zur Sorge. Alternativtraining war erlaubt, dann musste ich mich also auf dem Rad und im Schwimmbad fit halten. Die Wochen vergingen. Immer wieder testete ich, ob mein Fuß bereit war und ich ohne Schmerzen laufen könnte, aber das war er nicht. Hallensaison abgesagt - ernüchternd.

Ende Februar 2019, die brutale Wahrheit, Fuß-OP statt Laufen. Mein Fuss wollte nicht von alleine heilen, und mein Wunsch auf die Bahn zurückzukehren war da. Drei weitere Monate vergingen ohne einen Schritt - damit war auch eine erfolgreiche Sommersaison abgeschrieben.
Ende Mai 2019 war es endlich wieder möglich, die ersten Meter schmerzfrei zu laufen, es fühlte sich an, als würde ich fliegen, befreiend, ich war einfach glücklich. Der Start war großartig, wir steigerten das Training kontinuierlich und plötzlich kam die Idee des Comebacks in den Wettkampf wieder auf. Ich träumte von den Deutschen Meisterschaften, die Anfang August 2019 im Berliner Olympiastadion stattfinden sollten, aber ich brauchte noch eine Qualifikationsleistung von 2:09.00 min. Ich entschied mich am letzten Wochenende vor der Nominierungsfrist, es zu versuchen, und es gelang mir, mit 2:07.15 min erfüllte ich mir den Wunsch nach einem Wettbewerbs-Comeback inklusive Deutscher Meisterschaft.

Zwei Wochen später stand die Meisterschaft auf dem Programm. Zum ersten Mal ging es nur darum dabei zu sein, und das war alles! Einfach Spaß haben und genießen, im Olympiastadion in Berlin laufen zu dürfen. Völlig überraschend gelang es mir, mich für den Finallauf zu qualifizieren, den ich zunächst als Zugabe zu meinem Comeback betrachtete. Das Ergebnis, ein 5. Platz in 2:06.52 min, aber statt glücklich zu sein, war ich enttäuscht und mir liefen wieder einmal die Tränen über das Gesicht. Anstatt stolz auf mich zu sein, dass ich nach nur 2,5 Monaten eine solche Leistung erbracht hatte, zog ich mich zurück und stellte in Frage, ob ich wirklich alles gegeben habe. Es fiel mir oft leichter, meine Leistung abzuwerten, statt mich über den Erfolg zu freuen. Mit etwas Abstand konnte ich endlich stolz auf mich sein und erkannte, dass der Leistungssport für mich noch nicht gestorben war und ich bereit war, wieder anzugreifen.

Also, alles auf Neustart...

Wir gingen zurück auf Anfang. Ich absolvierte eine perfekte Trainingseinheit nach der anderen, meine Trainingswerte im Winter waren noch nie so gut, wenn da nicht der Fuss wäre, der seit Ende des Sommers wieder Probleme macht. Die Ärzte waren hilflos und da die Schmerzen noch halbwegs erträglich waren, trainierte ich weiter an meiner Form, komme was wolle. Ende November 2019 rieten mir die Ärzte das Training vielleicht etwas zu reduzieren und für 2 bis 3 Wochen mit dem Laufen aufzuhören, um zu sehen, wie der Fuß reagiert. Das kam für mich nicht in Frage. Bis zu den Olympischen Spielen blieb nicht mehr viel Zeit, eine Pause konnte ich mir nicht leisten. Beiß die Zähne zusammen und mach weiter. Nur dass es nicht mehr lange dauerte, etwa 2 Wochen später brach ich die erste Trainingseinheit ab, der Schmerz war einfach zu groß. Es wird besser, ich durfte nur nicht anfangen daran zu zweifeln. Doch selbst bei der nächste Tempolaufeinheit, lief es nicht, kein runder Schritt war möglich, und wieder musste ich die Einheit vorzeitig abbrechen. Ich versuchte es mehrere Male und fragte mich ständig: Warum immer ich? Warum kann es nicht einfach laufen? Warum will mein Körper mir nicht erlauben, erfolgreich zu sein? Wie soll ich die nächsten Monate unter diesen Bedingungen überleben?


Ich stand in engem Austausch mit meinem Arzt und meinem Physiotherapeuten, die beide ehemalige Leistungssportler sind und daher genau wussten, in welcher Situation ich mich befand. Es hatte sich vermehrt Schleimhaut in meinem Sprunggelenk gebildet, die sich bei jedem Schritt entzündete und eingeklemmte wurde. Mein Arzt riet mir zu einer weiteren Operation, die für mich nicht in Frage kam, da ich mir keine Pause leisten konnte. In dieser Zeit versuchte ich viele Dinge mit mir selbst auszumachen, schließlich war es wieder einmal mein Körper, der versuchte, mich von meinen Träumen abzuhalten. Doch das eine Argument meines Arztes war entscheidend und öffnete mir die Augen. Seine entscheidenen Worte waren: "Die Zeitlimits sind da, entweder man schafft die Norm zu erfüllen oder man scheitert in der vorgegebenen Zeit. Ohne die Erfüllung der Norm keine Olympischen Spiele, also noch ein weiteres Jahr vergeuden, in dem der Traum zerbricht oder jetzt handeln? Für eine Norm muss man im Training 120% geben können, was nur geht wenn man das Training machen kann und nicht 6 Monate vor der Nominierungsfrist nicht dazu in der Lage ist. Fast 14 Monate lang hatte es kaum eine schmerzfreie Trainingseinheit für mich gegeben, wie sollen 120% da möglich sein? Er hatte Recht, und so kam es, dass ich wieder einmal eine Hallensaison aufgab und Mitte Dezember 2019 eine weitere Fußoperation hatte.

C194A736-77DD-4228-B645-2F1031FEE54D.JPG

Nach fast zwei Monaten war es für mich an der Zeit, ein Comeback im Lauf-Geschäft und immer noch mit dem Traum von Olympischen Spielen in Tokio im Kopf zu starten, auch wenn ich in der Realität davon noch sehr weit entfernt war. Doch der Tag kam, an dem die Spiele wegen der aktuellen Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben wurden. Für viele Athleten war diese Nachricht eine verheerende Nachricht. Vier Jahre Vorbereitung, vier Jahre Herzblut, vier Jahre tägliches Aufstehen für diesen einen Traum, der zerbrochen ist. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und so geht die Reise weiter, mit einem Traum von einem glücklichen Ende.

Wettkampfsport ist wie eine Achterbahnfahrt auf und ab und in vielen Situationen unendlich frustrierend. Aber dennoch lässt er einen über sich hinaus wachsen. Ich habe viele Dinge gelernt, auch wenn ich oft mit dem Kopf gegen die Wand gerannt bin. Sei es durch exzessives Training, erhöhte Drucksituationen, nicht auf Warnsignale des Körpers zu hören oder einfach durch unzählige Misserfolge. Das Wichtigste ist immer, sich selbst treu zu bleiben und die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen. Der Glaube an sich selbst spielt im Leben eine wichtige Rolle. Ich musste auf ziemlich harte Art und Weise herausfinden, wie es ist, ständig an sich selbst zu zweifeln. Ohne das richtige Selbstvertrauen bringt man sich und seinen Körper in Gefahr, was schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben kann. Sieh deshalb die positiven Dinge im Leben und sieh, was du bisher erreicht hast. Nur weil du deinen größten Traum noch nicht erreicht hast, bedeutet das nicht, dass du wertlos bist. Nicht jeder schafft es, den einen großen Traum sich zu erfüllen, nicht jeder schafft es, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Lass dich von deinem Traum leiten und vergiss nie die Dinge, die dir auf deinem Weg widerfahren wahrzunehmen und stolz darauf und auf dich selbst zu sein, auch wenn du vielleicht irgendwann einen anderen Weg einschlägst. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen glücklich machen. Das Streben nach dem großen Ganzen führt uns manchmal auf Dauer nur in den Irrgarten und lässt dich immer wieder scheitern.

Ein weiterer wichtiger Appell ist, dass manchmal weniger mehr ist. Nicht jede Trainingseinheit kann die letzte übertrumpfen, nicht jedes Mal ist eine Steigerung möglich und nicht jeder Wettkampf bedeutet, dass eine neue Bestzeit gerannt werden muss. Entschlossenheit sollte auf einem gesunden Niveau stattfinden, aber kontinuierliches Training ist viel mehr wert, als zu schnell zu viel zu wollen.

Hör auf die Signale, die dir dein Körper gibt. Ohne ihn sind deine Träume nicht möglich und auch nichts wert. Und auch das Team oder die Menschen um dich herum spielen eine sehr wichtige Rolle. Sie helfen dir über dich hinaus zu wachsen und den richtigen Weg einzuschlagen. Ich hätte diesen Weg nie allein bewältigen können, egal wie oft ich in die falsche Richtung gelaufen bin. Auch Läufer, die von Natur aus Einzelsportler sind, brauchen ein Team, auf das man sich jederzeit verlassen kann. Denn allein werden wir nicht zu dem, was wir sind. Ganz gleich, ob es TrainerIn, PhysiotherapeutIn, Arzt oder Ärztin, die Freunde oder die Familie sind, ein Team bietet Unterstützung und definiert deinen persönlichen Weg mit! Nur gemeinsam sind wir stark.

 
8D9C1EDC-1915-4EED-8C2D-95C8D9E765A1.JPG

Gehe deinen persönlichen Weg, egal wie holprig er manchmal auch sein mag, und verliere deinen Traum nicht aus den Augen.