ANNIKA SCHACHTSCHNEIDER: LEISTUNGSSPORT BEENDET - WEGEN DES KÖRPERGEWICHTS?

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Geschrieben von Annika Schachtschneider


Warum ich mit dem Leistungssport aufgehört habe und was mein Körpergewicht dabei für eine Rolle gespielt hat?

Annika Schachtschneider (ART Düsseldorf) ehemalige Langhürdenläuferin mit einer Bestzeit von 63.25 sec über 400m Hürden, zweifache Deutsche Meisterin und Vizemeisterin mit der Staffel (4x100m; 4x400m; 4x200m).

Alles begann mit ungefähr 11 Jahren. Gemeinsam mit meinen beiden Schwestern habe ich mit der Leichtathletik begonnen. Wir drei teilten die Leidenschaft für den Sport, harte Trainingseinheiten und die Erfolge. Auf dem Weg zu erfolgreichen Athletinnen haben wir dreimal den Verein gewechselt. Von unserem Heimatverein OTV Solingen wechselten wir zum TUS Lintorf in Ratingen und dann zum ART Düsseldorf. Über die Jahre hat uns ein und derselbe Trainer begleitet, obwohl meine vier Jahre jüngere Schwester, sogar in einer anderen Gruppe trainierte.

Als Trainer war für ihn vor allem die Leistung wichtig. Wir mussten abliefern und das nicht nur im Wettkampf. Auch im Training mussten wir funktionieren und parieren, das ließ er uns mit entsprechenden Ansagen in gewisser Lautstärke wissen. Da wurde auch schon mal quer über den Platz gebrüllt. Wir standen unter ständigem Druck. In meinem Kopf kreisten die Gedanken: „Du musst alles richtig machen, du darfst dir keine Fehler erlauben”. Die Anspannung übertrug sich auf mich und meinen Körper, denn Sanktionen folgten auf Fehlverhalten. Wer zu spät kam, musste beispielsweise einen Kuchen backen. Wer während des Trainings ans Handy ging, musste 5€ Strafe in die Teamkasse zahlen.

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Mit 17 Jahren habe ich endgültig den Entschluss gefasst und mich gegen den Leistungssport entschieden. Aber warum? Wie kam es dazu und hätten andere Umstände das verhindern können?

Der Sport hat bis dahin mein Leben bestimmt mit Trainingseinheit und der ständigen Kontrolle. Alles, was ich tat, musste zum Vorteil für den Sport sein, der Sport war mein Lebensmittelpunkt. Das hieß im Umkehrschluss: keine Parties, kein See im Sommer (die Sonne könnte die Leistungsfähigkeit verringern), feste Schlafenszeiten, vorgeschriebene Ernährung. Es wurde zum Zwang und Freiheit für ein bisschen jugendlichen Leichtsinn gab es nicht.

Der Wunsch in mir nach einem Leben ohne diese festen Strukturen, die Kontrolle und das ständige auf den Punkt Leistung bringen, wuchs immer mehr. Ich wollte frei sein. Mich frei fühlen. Meine eigenen Entscheidungen treffen und einfach Teenager sein, mit allem was dazu gehört.

Passend dazu ist mir eine Situation im Gedächtnis geblieben: ein Abend mit Konsequenzen. Ich entschied mich dazu mit meinen Freunden aus der Schule abends wegzugehen. Es war mein Geburtstag. Meine Freunde außerhalb des Sports taten sich schwer Verständnis für meinen Leistungssport aufzubringen und so stand ich oft zwischen den Stühlen.
Wir wollten einfach zur Feier des Tages feiern gehen. Grundsätzlich für 16-jährige Teenager das Normalste der Welt, doch als Sportlerin und bei Trainern alles andere als gerne gesehen, zumindest war es bei meinem Coach so. Hinzukam, dass ich ihm davon nicht erzählte. Das übernahmen in diesem Fall leider meine Trainingskolleginnen. Die Folge war eine einwöchige Suspendierung vom Training. Eine Konsequenz, die für mich unerträglich war. Weshalb ich meinen Trainer nach einer Woche total aufgelöst mit Tränen in den Augen anrief und bat, ob ich wieder zum Training kommen darf.


Ich liebte meinen Sport und um so schlimmer war es, dass die vielen Vorschriften und Kontrollen dazu führten, dass ich die Leidenschaft aus den Augen verlor.

Ein weiterer entscheidender Punkt in meiner sportlichen Karriere war meine durch die Pubertät bedingten körperlichen Veränderungen. Ich wurde fraulicher und das wurde „zum Problem“. Der Körper verändert sich in dieser Phase und sorgt nicht selten auch für Leistungseinbrüche. Allein die Veränderung in dieser Zeit ist ja bekanntlich für Jugendliche schon eine psychische Belastung, kommen dann noch zusätzliche Einflüsse von außen dazu, kann das fatale Folgen haben. So auch bei mir.

Dank des Sports war ich es gewohnt unverblümt das zu essen wonach mir war. Das sollte sich mit meiner Pubertät schlagartig ändern und so nahm ich ungewollt zu. Die Konsequenz unseres Trainers war eine Ernährungsberatung einmal pro Woche. Innerhalb von 6 Wochen sollten wir jeden Freitag auf eigene Kosten zur Beratung gehen. Ein Termin, den ich sehr ernst nahm und entsprechend alles gab um es angemessen und bestmöglich umzusetzen.

Doch mein Trainer war nicht zufrieden und griff selber ein. Seine Maßnahmen waren wenig hilfreich und zu dem auch noch vollkommen unangebracht. So ließ er es uns bei jedem Training schmerzhaft mit Sprüchen wie „wo sind denn die beiden Dicken?“ spüren und stellte meine Schwester und mich vor der gesamten Gruppe bloß. Doch er ließ nicht locker und setzte uns weiter unter Druck. Er war der Überzeugung eine Abnehm-Challenge wäre zielführend. Und so mussten meine Schwester und ich gegen eine Teamkollegin in einer 10-tägigen Hunger-Challenge antreten. Es ging darum, wer am meisten in der Zeit abnimmt. Der Sport hat mich gelehrt zielstrebig zu agieren und so zog ich es durch. In diesen 10 Tagen aß ich kaum etwas. Ich frühstückte maximal und mittags erlaubte ich mir mal eine Scheibe Brot. Innerhalb der 10 Tage nahm ich 3,5 kg ab. Doch was es seelisch mit mir machte und danach folgte ließ mein Trainer vollkommen außer Acht. Er sah nur die Zahlen auf der Waage und die nahm er auch sehr ernst. So ernst, dass er uns regelmäßig begann zu wiegen. Am entscheidenden Tag mussten wir uns bis auf die Unterwäsche ausziehen und wurden vor dem gesamten Team gewogen. Eine sehr entwürdigende Situation.

Mit etwas Abstand betrachtet, stellen sich mir natürlich einige Fragen. Fragen wie: Was sollten wir daraus lernen? Was waren seine Gedanken? Wie konnte man uns das in so jungen Jahren antun?

Fragen, auf die ich bis heute keine logische Antwort habe. Im Trainingslager trieb er es sogar so weit, dass er unser gesamtes Essverhalten kontrollierte. Er entschied was auf den Teller kam, d.h. Nudeln durften wir nur an Tagen essen, an denen Tempoläufe auf dem Plan standen, sonst nicht. Sonst gab es nur Gemüse. Wenn es Fleisch gab, dann mussten wir die kalorienreiche Soße herunter kratzen. Prozedere, die wir willenlos mitmachten, weil es dazu gehörte. Selbst die Trainingsgruppe der jüngeren Mädels, in der auch unsere jüngere Schwester war, machten aus Solidarität zu uns mit und trauten sich nicht, ganz normal zu essen, obwohl sie es gedurft hätten.

Aber hätten wir uns nicht wehren sollen?
Das lässt sich im Nachhinein leichter sagen als es uns die Situation erlaubte hat, denn sie war von ihm völlig fremdbestimmt. Es sind die falschen Werte und Verhaltensweisen, die einem in jungen Jahren eingetrichtert werden, mit dem Ziel des Erfolgs im Sport. Denn Erfolg bedeutete Anerkennung und Würdigung, die es nur dann gab und wir danach mit allen Konsequenzen strebten. Solange niemand stark genug ist dieses Schema zu durchbrechen, machen alle das Marionettenspiel mit. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der beweist, dass man lernen muss ein*e mündige AthletIn zu werden und was in der Jugendarbeit im Sport alles schiefgehen kann.

Mein persönlicher Tipp für junge AthletInnen: tauscht euch aus mit Leuten, die nicht im gleichen Umfeld sind, hinterfrag Dinge, wenn du dich unwohl fühlst und lass dich nicht in etwas drängen, das dich dauerhaft nicht glücklich macht. Der Sport sollte dir Freude, Spaß und vor allem Teamgeist, Fairness und Selbstbewusstsein vermitteln. Sollte es nicht so sein, ändere etwas. Das muss nicht direkt heißen, dass du ihn aufgeben musst, wie ich es getan habe. Manchmal hilft es, dass was dich stört anzusprechen oder die Gruppe bzw. den Trainer zu wechseln.

Am Ende ist es dein Leben und du schreibst deine eigene Geschichte und entscheidest, wer sie beeinflussen darf. Bleib stark, mach dich stark und sei die stärkste Version von dir selbst.

 
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Steffi

Editorin & Publisherin