GENDER-DEBATTE BEI DEN OLYMPISCHEN SPIELEN

📸 Snapshot von Steffi

📸 Snapshot von Steffi

 

Geschrieben von Elisa

Was bedeutet das für Hobbyläufer*innen?

Gibt es wirklich nur Läufer*innen und Läufer? Wer macht die Regeln und setzt die Grenzen? Das System der Zweigeschlechtlichkeit kommt im Sport an seine Grenzen. Das ist nicht im Sinne der Sportfunktionäre und Medien, die immer noch denken, sie könnten für andere definieren, wer oder was eine Frau ist. 

Die olympischen Spiele haben gezeigt, dass die Kategorien von Geschlecht im Sport nicht mehr zeitgemäß sind. Bei FIERCE RUN FORCE haben wir die Ereignisse und Berichterstattung über Geschlechtsidentität bei Sportler*innen beobachtet und diskutiert. Was bedeutet es für uns als Hobbyläufer*innen, wenn inter*- und trans*-geschlechtliche Personen sich im Profisport rechtfertigen müssen und massivem medialem Druck ausgesetzt sind? Welche Konsequenzen hat das für alle Läufer*innen, wenn Institutionen vorgeben, wie eine Frau zu sein hat? Es ist Zeit, dass Athlet*innen diese Kategorien neu definieren und sich nicht von Institutionen vorschreiben lassen, was sie sind und wir alle nicht mehr mit einer veralteten Vorstellung von Weiblichkeit™ und Zweigeschlechtlichkeit abgefertigt werden. 

Beatrice Masilingi und Christine Mboma, beide achtzehn Jahre alt, wurden aufgrund eines natürlich erhöhten Testosteronspiegels nicht zum 400 Meter-Lauf zugelassen. Die beiden Teenager aus Namibia mussten auf die 200-Meter-Strecke ausweichen. Das Problem daran? - Hier geht es um die Definition von Weiblichkeit, wie sie von einer kleinen Gruppe von Sportfunktionären festgelegt wurde. Denn Mboma und Masilingi sind Frauen. Sie sind als Frauen geboren und sie fühlen sich als Frauen. Der erhöhte Testosteronspiegel, oft eine Folge innerer Geschlechtsmerkmale, ist ein Teil von ihnen. Es handelt sich weder um einen Betrugsversuch noch um eine Aufhebung des biologischen Geschlechts oder um irgendetwas anderes als – rein sportlich gesehen – einen natürlichen Vorteil. 

Der Leichtathletik-Weltverband ringt seit der unsensiblen und übergriffigen Behandlung von Caster Semenya mit diesem Thema. Testosteron gilt hier als Richtwert sowohl für die Dopingkontrolle als auch für die biologische Männlichkeit. Die pragmatische Lösung, die von World Athletics vorgeschlagen wird, besteht darin, dass Frauen mit diesen Werten testosteronsenkende Medikamente einnehmen müssen, wenn sie an Wettkämpfen über Distanzen von 400 m bis 1500 m teilnehmen wollen. Doch entspricht es den Maßstäben von fairem Wettkampf, von einer Athletin die Einnahme eines Medikaments zu verlangen, das ihren natürlichen Zustand verändert, ihre Stimmung beeinflusst, ihr Talent mindert und die natürlichen Funktionen ihres Körpers unterdrückt?

Häufig heißt es, dass es die Kategorien gibt, um einen fairen Wettbewerb zu schaffen. Doch wenn es nur um die Herstellung von gleichen Ausgangspositionen ginge, müsste man dann nicht auch Eigenschaften wie Körpergröße, Gewicht, oder ethnische Herkunft zur Definition von Leistung berücksichtigen? Am Ende gibt es im Männer-Laufsport auch keine vergleichbare Grenze von natürlichem Testosteron nach oben.

Die Art und Weise, wie sich diese Angelegenheit in der Vergangenheit bei Sportlerinnen wie Caster Semenya abgespielt hat, lässt Böses Erahnen: Sportfunktionäre, Boulevardzeitungen und – natürlich –  auch irgendwelche Männer im Internet haben öffentlich über ihren Körper diskutiert. Viele Menschen, die sich vorher nicht einen Meter für Frauen im Sport interessiert haben, fanden scheinbar über Nacht ihr Interesse für Laufsport und wurden zu flammenden Verfechtern von Fairness im Frauensport. 

Männer kontrollieren das Laufen von Frauen, Inter*- und Trans*-Personen

Männer haben schon lange versucht, das Laufen von Frauen zu kontrollieren. Journalisten verspotteten Frauenläufe als "unnatürlich" und "gefährlich". Oft hieß es, Frauen seien körperlich nicht dazu geschaffen, die Strapazen von Rennen zu ertragen. Die Natur hätte sie zum Kinderkriegen geschaffen. Ganz so, als ob eine Geburt ein Spaziergang wäre! Daraufhin wurden Frauen von olympischen Wettkämpfen ausgeschlossen, die länger als 100 Meter waren, was etwa der Länge eines Fußballfeldes entspricht.

📸Recuerdos de Pandora, Kathrine Switzer, una delle prime donne partecipanti a una maratona (Boston 1967), CC BY-SA 2.0

📸Recuerdos de Pandora, Kathrine Switzer, una delle prime donne partecipanti a una maratona (Boston 1967), CC BY-SA 2.0

Im Jahr 1967 nahm Kathrine Switzer als erste Frau am renommierten Boston Marathon teil, der bis dahin nur Männern vorbehalten war. Switzer wurde von Renndirektor Jock Semple angegriffen, doch konnte das Rennen dank Hilfe ihres Trainers und Partners beenden. Erst 1972 wurde Frauen offiziell die Teilnahme erlaubt. Andere Marathons folgten diesem Beispiel, aber der Wandel vollzog sich nur langsam. 

1967 führten der IAAF und das IOC für Frauen den sog. Barr-Test ein – einen Chromosomen Test – für den man eine Zellprobe benötigte. Es gibt keinen einzigen dokumentierten Fall, in dem der Barr-Test seinen ursprünglichen Zweck, einen sich als Frau ausgebenden Mann zu entlarven, erfüllte. Jedoch gab es etliche Fälle, in denen Sportlerinnen disqualifiziert wurden, weil bei ihnen eine eindeutige Zuordnung zu den Kategorien Mann und Frau nicht möglich war. 1990 wurden die Testverfahren eingestellt. 

Das Verständnis der Einteilung des Geschlechts im Sport ist binär. Das heißt, es wird von der Annahme ausgegangen, dass jeder Mensch eindeutig in die Kategorien männlich oder weiblich einzuordnen wäre. Historisch lässt sich feststellen, dass der Widerstand gegen die Beteiligung von Frauen umso heftiger war, je stärker bestimmte Bewegungsformen mit Männlichkeit assoziiert wurden.

Sport als Performance von Geschlecht

Die Geschlechtertrennung lässt sich im Sport nicht allein durch den Verweis auf Fairness erklären. Denn nicht alle körperlichen Wettbewerbsvorteile werden im Sport zur Bildung von Leistungsklassen herangezogen. Geht es wirklich nur darum, unfaire Wettbewerbsvorteile auszuschließen? Vielmehr ist Sport ein Ort, in dem Geschlecht performt, inszeniert und reproduziert wird. 

Caster Semenya, die eine intergeschlechtliche cis-Frau ist, brachte ihren Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ihre Anwälte argumentierten, dass die IAAF-Regel Semenyas Recht auf Privatsphäre und das auf Berufsausübung verletze und dazu führe, dass sie "eine Behandlung erleide, die gegen ihre Menschenwürde, ihre körperliche und geistige Unversehrtheit sowie ihre soziale und geschlechtliche Identität verstoße".

Sie selbst äußerte sich dazu auf Twitter: "In diesem Kampf geht es nicht nur um mich, sondern darum, Stellung zu beziehen und für Würde, Gleichheit und die Menschenrechte von Frauen im Sport zu kämpfen."

Die Startbedingungen für inter* und trans*-personen sind dabei nicht nur im Profi-Sport deutlich erschwert. So war etwa der bisherige Vorschlag des DLV zum Umgang mit inter* und trans* Sportler*innen, dass diese pauschal in die männliche Sportlergruppe einkategorisiert werden und sich bei niedrigem Testosteronwert entsprechend "freitesten" können. Im Februar 2021 hat der Verband in einer Pressemitteilung bekannt gegeben, dass inter*- und trans*-geschlechtliche Personen bei Amateurlaufveranstaltungen mit Event- und Breitensportcharakter ab sofort ohne weiteren Nachweis in der Startklasse ihres identifizierten Geschlechts starten können. Nach Beratung mit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sei die Gefahr des sogenannten Genderdopings im Breitensport vernachlässigbar im Verhältnis zum Diskriminierungsrisiko durch beispielsweise eine pauschale Einkategorisierung in die männliche Startergruppe oder eine Pflicht zum Testosteron-Nachweis für trans* und inter*-Personen.

📸Matt Lee

Weiblich, trans* und inter*-geschlechtlich im Laufsport: Kümmert euch um unsere echten Probleme!

Während Läuferinnen wie Kathrine Switzer noch mit absurden medizinischen Unwahrheiten zu kämpfen hatte (beim Laufen wird man durch mehr Testosteron männlicher, die Gebärmutter kann herausfallen und diversen anderen Quatsch), hat sich die Situation für Läuferinnen verbessert.

Laufen ist ein Breitensport und Frauen, Inter*- und Trans*-sexuelle sind ein wichtiger Teil davon. Doch betrachtet man die Szene, Trainingsapps und Laufaccessoires genauer, fällt auf: Laufen orientiert sich immer noch an der Leistung und dem Lifestyle von männlichen Läufern. Die Bedürfnisse von weiblichen, inter*- und transsexuellen oder auch Läufer und Läuferinnen mit Behinderung spielen nur geringfügig eine Rolle. Frauen zum Beispiel haben aufgrund des weiblichen Zyklus spezielle körperliche Bedürfnisse und Gegebenheiten. LGBTIQ-Läufer*innen haben ein anderes Bedürfnis nach Sicherheit beim Laufen im öffentlichen Raum. Diese Themen werden vernachlässigt oder sogar tabuisiert. Daher haben wir noch eine Bitte: Kümmert euch doch um die tatsächlichen Bedürfnisse von Läuferinnen und Inter*- und Trans*-personen im Laufsport, anstatt über angebliche Fairness zu diskutieren und dabei Athlet*innen zu diskriminieren. 

Bei FIERCE RUN FORCE wollen wir offen bleiben und stetig dazulernen, wie wir mehr Läufer*innen motivieren können. Wir bilden uns weiter und freuen uns immer über Hinweise darüber, wie wir inklusiver und offener werden können.

 
WhatsApp+Image+2021-08-17+at+10.59.43.jpg

Elisa

Autorin

Steffi

Publisherin