SABINE: DAS SCHEMA F VOM LAUFEN NACH DER SCHWANGERSCHAFT GIBT ES NICHT

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Geschrieben von Sabine

“Du startest aber echt spät ins Training. Bekannte von mir waren schon wenige Tage nach der Entbindung zurück in den Laufschuhen.”

Um den richtigen Zeitpunkt, nach der Schwangerschaft wieder mit dem Jogging zu beginnen, ranken sich so viele Mythen wie um die Bauchform, die Aufschluss über das Baby-Geschlecht gibt. Jedoch verläuft keine Schwangerschaft wie die andere – und so individuell ist auch der Wiedereinstieg.

Der weibliche Körper hat 40 Wochen Höchstleistung gebracht und sich gravierend verändert. Dass diese Veränderungen mit der Geburt nicht vorbei sind, wird dabei gern vergessen. Über meine Erfahrungen vom Laufen in und nach der Schwangerschaft möchte ich hier berichten und dass es nicht das eine Schema F für jede Frau gibt.

Völlig aus der Puste stand ich mit Freunden an der Startlinie eines 10-Kilometer-Rennens. Meine Garmin zeigte schon nach dem Warm-up eine stolze Herzfrequenz von 130 Schlägen an – und stieg selbst noch beim Warten auf den Startschuss. Ich hatte keine Erklärung, lief los und kam mit einem 200er-Herzschlag ins Ziel. Mein Kopf dröhnte, ich fühlte mich schlecht. Eine Erklärung hatte ich nicht, unterschwellig nur eine leise Ahnung, die ich schnell wieder aus meinen Gedanken fortwischte. Völlig unmöglich. Warum ausgerechnet jetzt und nicht all die Monate vorher. Ganz bestimmt war es einfach nur ein schlechter Tag. Punkt. Aus. Fertig. Am selben Abend trafen wir Maya, die uns ihre israelische Kochkunst wieder bewies. Ein, zwei Gläschen köstlichen Wein gab es auch, mir ging es schließlich schon wieder besser. Der letzte Wein für viele Monate. Die Vorahnung schob sich immer mehr in meine Gedanken – und wurde nur wenige Tage später zur Gewissheit. Zwei Tests waren mehr als eindeutig.

Ich war schwanger, hurra!

Bäääm, meine Instagram-Blase platzt

Meine Frauenärztin bestätigte mir die Schwangerschaft mit einem Ultraschallbild, auf dem ein kleines, zusammengekauertes Gummibärchen zu sehen war. Mein Baby. Ich war überglücklich. Frau Doktor ermutigte mich, mit dem Laufen fortzufahren. Nur immer schön langsam und entspannt. Die Herzfrequenz solle 140 Schläge nicht überschreiten. Schwangerschaft und Sport sind heute keine Gegensätze mehr und tun der werdenden Mama sogar gut. Dass sich ein gesunder und fitter Körper positiv auf die gesamte Schwangerschaft und spätere Entbindung auswirken soll, war einleuchtend und motivierte mich enorm. Bei Instagram sah ich all die schönen Frauen, die mit ihrer Baby-Kugel vor Power strotzend auf den Tracks unterwegs waren. Genau so stellte ich mir mein „neues Projekt“ auch vor, das die ersten zwölf Wochen noch streng geheim war. Ich träumte sogar davon, im Sommer einen Halbmarathon zu laufen. Bei einem Sonntagslauf im Park merkte ich allerdings nach wenigen Metern Traben, dass ich schon komplett am Limit war und mich furchtbar erschöpft fühlte. Ich zweifelte an, dass Sport und Schwangerschaft wirklich miteinander vereinbar seien. Die nächste Voruntersuchung stand an: Ich hatte den Blutdruck einer Hochschwangeren, war jedoch erst am Beginn der Schwangerschaft. Auch die Urinproben sprachen eine deutliche Sprache. Die Ärztin zog die rote Karte und verordnete mir Ruhe. Bewegung war ab sofort nur noch in Form von Spaziergängen erlaubt. Damit platzten meine Instagram-Blase vom Laufen bis in den Kreißsaal schon am Anfang.

Hallo, Babybauch!

In den nächsten Monaten veränderte sich mein Äußeres nur ganz langsam. Ich konnte es kaum erwarten, dass man es endlich sieht. Während viele Frauen mit Wasser in den Beinen oder schlechter Haut kämpfen, fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben so richtig schön. Ich war stolz, dass ein Mensch in mir wächst und wollte es der ganzen Welt zeigen. Meine Haut hatte diesen Glow, mein Haar war voll. Verrückt, was Hormone bewirken können. Enorme Übelkeit und Müdigkeit in den ersten drei Monaten erschwerten meine Spaziergänge, viele Pausen waren nötig – obwohl zu diesem Zeitpunkt kaum Bauch zu sehen war. Doch in meinem Inneren bereitete sich alles auf das neue Leben vor. Mehr Blut zirkulierte in mir, sämtliche Energiestoffe flossen in Richtung Gebärmutter.

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Erst spät, im siebten Monat, war ein kleiner Babybauch sichtbar. Jetzt ging alles ganz rasant. In der finalen Phase war der Bauch inzwischen so groß, dass ich Hilfe beim An- und Ausziehen meiner Schuhe brauchte. Alles fühlte sich an wie ein Kraftakt. Trotzdem genoss ich meine wundervolle Babykugel. Insgesamt nahm ich 14 Kilogramm in der Schwangerschaft zu. Trotzdem versuchte ich weiter, mich jeden Tag ein bisschen zu bewegen. So gut es ging. Sieben Tage über den errechneten Termin ging es endlich los, das Baby wollte raus und die Welt entdecken! 14 Stunden nach den ersten Wehen und Geburtsstillstand kam Ava am ersten Advent per Kaiserschnitt zur Welt. Total zerknautscht, aber gesund.

Neun Monate Schwangerschaft, neun Monate Rückbildung – zurück zum früheren Körper

Eine Geburt ist anstrengender als ein Marathon, aber machbar! Noch im OP-Saal war der stramme Babybauch von einem Moment auf den anderen verschwunden. Innerlich vermisste ich ihn schon jetzt. Nur eine große Narbe und ein Taubheitsgefühl bis zum Bauchnabel blieben. Bis heute. Kaum zu Hause angekommen, feierten die Glückshormone in mir eine Party, ich fühlte mich stark und hatte meine alte Bewegungsfreiheit zurück. Jedoch erinnerte mich meine Kaiserschnittnarbe schmerzhaft daran, dass eine gravierende Bauch-OP hinter mir lag und ich es im sogenannten „Wochenbett“ ruhig angehen sollte. Als bewegungsliebender Mensch fiel es mir schwer, das zu beherzigen. Kleinste Spaziergänge zum Supermarkt erforderten viel Kraft, ich musste mir mein Umfeld über Wochen langsam wieder zurückerobern. 

Allmählich dämmerte mir, dass es der sportliche Wiedereinstieg nach der Schwangerschaft doch kein leichter Spaziergang werden würde. Schließlich heißt es nicht umsonst: „Neun Monate Schwangerschaft, neun Monate Rückbildung“. Wenn auch kaum etwas an meinem Äußeren daran erinnerte, dass ich kürzlich ein Kind entbunden habe, war in mir nichts mehr wie früher: Insbesondere meine Knie und Füße schmerzten bei jedem Schritt. Alle Muskeln, Bänder und Sehnen waren „weich“ durch die Schwangerschaftshormone. Auch das tiefere Narbengewebe musste sich erst wieder verfestigen. An Laufen war nicht zu denken. Deshalb meldete ich mich zu einem Rückbildungskurs an, um meinen Bauch, meinen Rücken und den mir bis dato unbekannten Beckenboden mit Gymnastikübungen wieder auf Vordermann zu bringen. Viele Frauen vernachlässigen dies und starten übereilt ins Lauftraining nach der Geburt. So übrigens auch Paula Radcliffe, die sich einen Ermüdungsbruch am Kreuzbein zuzog. Dabei sind diese Rückbildungsübungen so wichtig. Die meisten Kurse werden sogar von den Krankenkassen übernommen. Um weiter an Kraft und Mobilität zu gewinnen, machte ich auch Baby-Fitness: Ava fungierte als zusätzliches Gewicht bei Squats oder Sit-ups.

Die Grundlage war gelegt. Erst im April wagte ich mich ans Laufen. Ganz vorsichtig und immer spät abends, wenn die Kleine schlief. Ich tastete mich Schritt für Schritt ans Laufen: Zu Beginn kam ich auf einen Kilometer mit Gehpausen. Später schaffte ich zwei, irgendwann fünf. Mein Beckenboden signalisierte jedoch ganz schnell, dass er noch nicht für längere Laufeinheiten ausreichend trainiert ist. Dieser „unsichtbare“ Muskel hilft unter anderem, den Urin zu halten. Somit intensivierte ich mein Beckenboden-Training zwischen Stillen, Haushalt, Wickeln, Kuscheln und Laufen.

Ein treibender Motor war auch Steffi, die mich dazu motivierte, bei FIERCE RUN FORCE mitzumachen und so wieder zurück zum Laufen zu finden. Sie war es auch, die mich vor einigen Jahren zum Laufen animierte, weit abgeschlagen vom Rest der Gruppe.

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Die Frauen-Community mit ihren Online-Trainings mit Mobility, Yoga und Krafttraining war die ideale Ergänzung zu meinen ersten Läufen. Im Mai war dieses Hochgefühl beim Laufen zurück. Die Kilometer waren keine Qual mehr wie noch in den zurückliegenden Wochen. Zehn Kilometer fühlten sich nicht mehr quälend wie ein Marathon an. Inzwischen lief ich auch nicht mehr in den späten Abendstunden, sondern am Tag – mit dem Baby im Kinderwagen. Ich spürte, jetzt bin ich in meinem alten Körper zurück. Dass im Verborgenen die Tücke lauerte, blendete ich vor lauter Euphorie aus: Ich steigerte meinen Laufumfang zu schnell von zehn auf 15 Kilometer und verletzte mich am Schienbein sowie der Wade. Die alten Laufschuhe taten ihr Übriges. Wieder eine Pause vom Ausdauersport. Solche Unterbrechungen bedeuten aber keineswegs Stillstand: Mobility, Kraftübungen und Stretching sind ebenso wichtig, um eine gute Läuferin zu sein und die Zeit kann dafür genutzt werden.

Keine Vergleiche mit anderen

So wie jede Frau ihre Schwangerschaft anders wahrnimmt, so unterschiedlich sehen auch die Vorgehensweisen beim Wiedereinstieg aus. Die eine Frau leidet wie ich unter Erschöpfung, die andere nicht. Eine andere läuft nach wenigen Wochen als wäre nichts gewesen, die andere muss sich länger gedulden. Es gibt also nicht den einen Fahrplan. Wichtig ist es jedoch, auf die Signale des Körpers zu hören und ihm die erforderliche Erholungszeit gönnen, um Verletzungen zu vermeiden. Durch Social Media entsteht ein gewisser Druck. Hinterfragt immer, was ihr dort seht. Reflektiert, was ihr dort lest und legt diese Schablone nicht auf euch. Beweisen müsst ihr niemanden etwas. Das habt ihr bereits: Ihr habt eine Schwangerschaft samt einer körperlichen Transformation im doppelten Sinne hinter euch. Ihr habt Leben geschenkt. Da ist es zweitrangig, ob ihr 10 Kilometer einen Monat nach der Geburt oder erst ein halbes Jahr später lauft.

Hört auf euren Körper und überanstrengt ihn nicht, sondern seid fit für euer Baby – es ist darauf angewiesen.

 
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Sabine

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